25 Jahre Bologna – Fundament für den Europäischen Hochschulraum

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Text: David Akrami Flores

Die größte Umwälzung der europäischen Hochschullandschaft begann am 19. Juni 1999 in Bologna, als Hochschulministerinnen und -minister aus 29 europäischen Ländern in der italienischen Universitätsstadt die Vision eines einheitlichen Europäischen Hochschulraums formulierten. Alle Europäerinnen und Europäer sollten darin leichter akademisch mobil sein, Europa sollte für internationale Studierende sehr viel attraktiver werden. 

© Ianunzio Alessandro, Fotocommunication/AdobeStock

Arkadengang im alten Universitätsgebäude von Bologna

Ziele der Reform

Die Ministerinnen und Minister wollten insbesondere den Abbau von Mobilitätshindernissen durch eine europäische Vereinheitlichung der Studienabschlüsse vorantreiben; zudem wünschten sie sich mehr Verlässlichkeit und Transparenz zwischen den Hochschulsystemen Europas durch Qualitätssicherungsmechanismen und die Beschreibung von Lernergebnissen auf Basis vergleichbarer nationaler Qualifikationsrahmen. Diese Kernelemente der Reform zielten darauf, gegenseitiges Vertrauen zu stärken und damit ein Fundament für mehr Mobilität zu schaffen. 

Einige der grundlegenden Herausforderungen der Hochschulbildung in Europa sollten so adressiert werden: Probleme bei der Anerkennung von Studienleistungen – unabhängig, ob sie im Ausland oder an einer anderen Hochschule im gleichen Land erbracht wurden – stellten ein beträchtliches Hindernis für die Studierendenmobilität dar. Außerdem prägten lange Studiendauern, ein hohes Absolventenalter, geringer Arbeitsmarktbezug, zum Teil hohe Abbruchquoten und – gerade in den Geisteswissenschaften – wenig Struktur und Orientierung in der Studienplanung die Hochschulbildung. 

Den Bologna-Reformen lag dabei ein fundamentaler Paradigmenwechsel zugrunde: Sie haben die Studierenden zum zentralen Referenzpunkt gemacht und einen entscheidenden Impuls gegeben, die Lehre – neben der Forschung – wieder stärker in den Mittelpunkt des universitären Handelns zu rücken. Kompetenzorientierung statt reiner Wissensvermittlung, Abkehr von vorrangig angebotsorientierter Lehre durch die Definition von Lernzielen, die Erfassung größerer Zusammenhänge in Modulen, ECTS-Punkte als «Währung», die sich nach dem Zeitaufwand der Studierenden und nicht nach den Semesterwochenstunden der Lehrenden bemisst, ein geschärfter Blick für Qualität von Lehre und Studium und schließlich das Prinzip der Anerkennung als Regelfall – all dies sind Errungenschaften einer studierendenzentrierten Hochschulbildung. 

Erfolge

Mit der Umstellung der Studienstruktur hat der Bologna-Prozess den Hochschulen in Deutschland und ganz Europa eine immense Veränderungsbereitschaft abverlangt. Eine Anstrengung, die sich gelohnt hat. Mehr als 90 Prozent der 21.000 Studiengänge in Deutschland führen heute zum Bachelor oder Master. Die Abschlüsse sind auf dem Arbeitsmarkt voll und ganz akzeptiert und ermöglichen für Hochschulabsolventinnen und -absolventen entweder einen frühen Berufseinstieg oder vielfältige Möglichkeiten der Studienfortsetzung – national und international.

Mit ihren veränderten Studienangeboten haben sich die Hochschulen zudem für eine diversere Studierendenschaft geöffnet. Es ist kein Zufall, dass der Anstieg der Studierendenzahlen in Deutschland von etwa 2 auf fast 3 Mio. in den zurückliegenden 15 bis 20 Jahren just zum Zeitpunkt der großflächigen Umstellung der Studienstruktur im Zuge der Bologna-Reformen eingesetzt hat. Bologna hat die Hochschulen in Deutschland also vielfältiger und inklusiver gemacht – und sie zugleich stärker für Studierende aus Nichtakademikerhaushalten geöffnet.

Und noch eine weitere Zahl darf man als Bologna-Erfolg verbuchen: 370.000 internationale Studierende machen Deutschland heute zum drittwichtigsten Gastgeberland weltweit; ohne die Umstellung auf die international vergleichbaren Bachelor- und Masterabschlüsse hätte dieser Zustrom kaum solche Höhen erreichen können. Die Zahl ist vor allem angesichts des sich verschärfenden Fachkräftemangels erfreulich, denn rund 50 Prozent der internationalen Studierenden sind in den besonders begehrten MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) eingeschrieben. Viele von ihnen bleiben nach dem Abschluss dank guter Jobaussichten und einfacher Aufenthaltsregelungen in Deutschland und bereichern den Arbeitsmarkt wie die Gesellschaft.

Diese Erfolgsbilanz darf jedoch nicht dazu verleiten, sich mit dem Erreichten zufriedenzugeben oder nicht verwirklichte Ziele zur Seite zu schieben. Natürlich wäre mehr akademische Mobilität junger Menschen zwischen Europas Hochschulen wünschenswert und in Zeiten von bröckelnder europäischer Solidarität dringend geboten. Hier wäre ein weiterer Ausbau des äußerst erfolgreichen Erasmus-Programms nur konsequent und wünschenswert. Bei der automatischen Anerkennung im Ausland erworbener Studienleistungen sind ebenfalls künftig Anstrengungen erforderlich. Und die Studienabbruchquote ist insbesondere bei internationalen Studierenden noch immer zu hoch – hier gilt es, wie bisher in verbesserte Betreuung und Begleitung zu investieren.

Der Europäische Hochschulraum – auch eine Wertegemeinschaft

Doch wo stünden wir heute ohne Bologna? Erwartbar in einem fragmentierten europäischen Hochschulsystem, das gegenüber Nordamerika, Asien und Australien nicht konkurrenzfähig wäre. Und damit sei hier ein letzter wichtiger Punkt angesprochen.

Der Europäische Hochschulraum hat über die Jahre eine immense integrative Kraft über die Grenzen der Europäischen Union hinaus entfaltet. Ihm gehören heute 47 aktive Mitgliedstaaten an, mit fast 33 Mio. Studierenden an mehr als 4.000 Hochschulen. In anderen Weltregionen weckt diese beispiellose Harmonisierung großes Interesse und es werden Bologna-inspirierte Reformen umgesetzt. Dies sind Errungenschaften, die in der nationalen Debatte oftmals nur wenig wahrgenommen werden.

Und dieser «Bologna-Raum» versteht sich auch als eine Wertegemeinschaft. Die Mitgliedschaft von Russland und Belarus wurde unmittelbar nach dem Angriff auf die Ukraine ausgesetzt. Für die ukrainischen Hochschulen ist Bologna eine «Lifeline». Jenseits von NATO- und EU-Perspektiven bedeutet die Mitgliedschaft im Europäischen Hochschulraum nicht nur die Teilnahme an einem Bildungsreformprozess, sondern ist richtungsweisend für die Teilhabe an einer freien Welt, in der grundlegende akademische Freiheitsrechte geachtet werden. 

Laut dem Bericht „Trends 2024 - European higher education institutions in times of transition“ der European University Association (EUA) halten übrigens 98 % der Hochschulen die Erasmus+ Programme für sehr wichtig oder wichtig (90 % sehr wichtig, 8 % wichtig). 498 Hochschulen aus 46 Ländern des Europäischen Hochschulraums haben an der Online-Umfrage teilgenommen.

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David Akrami Flores
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