von Katja Urbatsch
Auch Studierende der ersten Generation brauchen Auslandserfahrung
Die soziale Dimension von Bildung
Der Zugang zu höherer Bildung ist in Deutschland immer noch sehr ungleich verteilt: Kinder aus Familien ohne akademische Tradition haben eine weitaus geringere Chance auf einen hohen Bildungsgrad als Kinder aus Akademikerfamilien. Dies belegen zahlreiche wissenschaftliche Studien: Laut einer aus dem Jahr 2018 stammenden Veröffentlichung des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung über Beteiligung an Hochschulbildung beginnen von 100 Nichtakademikerkindern gerade einmal 27 ein Studium, von 100 Akademikerkindern sind es hingegen 79.
Eigene Bildungsgeschichte(n) als Antrieb und Inspiration
So habe auch ich mich während meines Studiums gefühlt. Mein Bruder und ich waren die Ersten in unserer Familie, die studiert haben. Oft war ich mit dieser Herausforderung konfrontiert, habe vieles für Akademikerkinder Selbstverständliches nicht gewusst und erst sehr spät erfahren, dass zum Beispiel auch ich mich für ein Stipendium hätte bewerben können.
Bei ArbeiterKind.de machen wir all diese Informationen niederschwellig zugänglich. Die Ehrenamtlichen unserer gemeinnützigen Organisation ermutigen alle, die als Erste in ihrer Familie studieren wollen, durch ihre eigene Bildungsgeschichte zum Studium, unterstützen bei allen Fragen zur Studienfinanzierung und -organisation, vernetzen Ratsuchende mit Ratgebenden und sind darüber hinaus ebenfalls Partner:innen für Erstakademiker:innen beim Berufseinstieg.
Soziale Herkunft als Hürde für Auslandsaufenthalt
Auch beim Thema «studienbegleitender Auslandsaufenthalt» zeigt sich, wie die Möglichkeiten von Studierenden der ersten Generation von ihrer sozialen Herkunft geprägt sind. 2016 waren gemäß der 21. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks nur 13 Prozent der Studierenden aus nicht akademischen Elternhäusern im Ausland, bei Studierenden mit zwei akademischen Elternteilen waren es 21 Prozent.
Diese soziale Ungleichheit lässt sich auch bei den Förderprogrammen wie dem Erasmus-Programm der Europäischen Union beobachten: Zwar stieg der Anteil der geförderten Studierenden zwischen 1994 und 2012 insgesamt von 29 auf 41 Prozent, doch insbesondere zwischen den Jahren 1997 und 2000 wuchs der Anteil hauptsächlich bei den Studierenden aus einem Akademikerhaushalt, wie in einer Veröffentlichung des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung über Bologna und die internationale Mobilität von Studierenden gezeigt wird. Trotz der europäischen Studienreformen hat bisher also weder die räumliche Mobilität noch deren soziale Durchlässigkeit zugenommen.
Die Bedeutung von Vorbildern
Die Ursachen dafür sind sicherlich vielfältig, liegen wohl aber nicht in den Noten oder den Ambitionen der Studierenden aus nicht akademischen Elternhäusern begründet. Studierende der ersten Generation haben meist keine Bildungsmutmacher:innen in ihren Familien. Sie sind häufig auf sich allein gestellt. «Mach lieber eine Ausbildung!», hören sie oft. Oder: «Was willst du nur mit Amerikanistik?», hieß es bei mir. Sie haben keine Vorbilder in ihrer Familie, die ihnen erklären könnten, wie ein Studium insgesamt organisiert wird oder warum ein Auslandsaufenthalt sinnvoll sein kann. Es fehlt oftmals die Ermutigung und das Signal: «Du kannst es schaffen!»
Bürokratische und soziale Hürden
Darüber hinaus stellt die Studienfinanzierung trotz (Auslands-)BAföG und eines breiten Angebots an (Auslands-)Stipendien eine große Hürde dar, viele Finanzierungsmöglichkeiten sind kaum bekannt. Die Antragsverfahren für Förderprogramme sind zudem mitunter sehr komplex und binden zeitliche Kapazitäten, die oft aufgrund des Studiums und ausgeübter Nebenjobs nicht vorhanden sind.
Und neben den finanziellen Herausforderungen, die ein studienbegleitender Auslandsaufenthalt zusätzlich mit sich bringt, können sich Studierende aus nicht akademischen Familien einen solchen auch erstmal gar nicht genau ausmalen. Denn zunächst einmal haben sie damit zu tun, in der ihnen fremden Hochschulwelt anzukommen, sich im Unidschungel grundsätzlich zurechtzufinden, sich mit dem akademischen Habitus vertraut zu machen und ein Zugehörigkeitsgefühl zur akademischen «Blase» entstehen zu lassen.
Mangelndes Wissen über die Bedeutung von Auslandserfahrung
Wir wissen es: Auslandsaufenthalte haben eine positive Auswirkung auf die persönliche und die professionelle Entwicklung und sind bei der Bewerbung auf die besten beruflichen Positionen wohl das A und O. Doch auch beim Thema «Auslandsstudium» hören Studierende der ersten Generation in ihren Herkunftsfamilien meist ähnliche Sätze wie generell beim Thema «Hochschulbildung»: «Wozu soll das gut sein?», «Schau lieber, dass du schnell fertig wirst!» oder «Wir haben das alles auch nicht gehabt …»
In diesem Milieu hat sich das Wissen um die Bedeutung von Auslandserfahrungen für Arbeitgeber:innen bei der Auswahl von Bewerber:innen noch nicht manifestiert. Auch wollen Kinder aus Familien aus bescheidenen Verhältnissen ihre Eltern nicht unnötig belasten. Deshalb sollten Stipendiengeber:innen, Hochschulen und andere Akteur:innen im Bildungswesen auf dieses Informationsdefizit direkt zugehen und Studierende der ersten Generation sowie deren Eltern gezielt auf diese Thematik ansprechen. Sie sollten als Bildungspartner:innen Möglichkeiten aufzeigen, einen Auslandsaufenthalt erfolgreich durchzuführen. Spezielle Werbebroschüren über die Vorteile von Auslandsaufenthalten könnten hier hilfreich sein, die gezielt auch nicht akademische Elternhäuser ansprechen und ein partnerschaftliches Lösungsangebot anbieten.
Klare Kommunikation zu Finanzierung ist gefragt
Die Finanzierung eines Auslandsaufenthalts ist mit Abstand die größte Hürde, vor der Studierende der ersten Generation stehen. Wichtig ist daher vor allem, dass die zu erwartenden Kosten für einen Auslandsaufenthalt klar kommuniziert werden und möglichst keine Vorfinanzierung erwartet wird, denn das ist für ihre Familien meist überhaupt nicht zu stemmen. Auch ist es wichtig, Stipendienbewerbungen von Studierenden aus Familien ohne akademische Tradition ausdrücklich und proaktiv zu fördern. Dabei sollten die Stipendiengeber:innen noch mehr Transparenz über Bewerbungs- und Auswahlverfahren herstellen.
Genau wie wir bei ArbeiterKind.de mit echten Mutmacher:innen arbeiten, so könnten Hochschulen und Stipendiengebende mit positiven Vorbildern zu einem Auslandsstudium ermutigen. Wer den direkten Austausch mit positiven Vorbildern zum Beispiel an Infoabenden ermöglicht, beugt vielen Unsicherheiten bei möglichen Nachahmer:innen vor. Bei Stipendien gilt es zudem, entschieden dem weitverbreiteten Vorurteil entgegen zu treten, diese seien nur etwas für Hochbegabte. Denn unter dem Begriff «begabt» stellen sich viele Studierende viel höhere Anforderungen insbesondere an Noten vor, als sie von den Stipendiengebenden gemeint sind.
Was es braucht? Gezielte Unterstützung
Das Auslands-BAföG muss in der Regel 6 Monate im Voraus beantragt werden. Zu diesem Zeitpunkt weiß man aber oft noch nicht, ob man einen Studienplatz an der Uni im Ausland erhalten wird. Wie viel Förderung man tatsächlich während des Auslandssemesters erhält, erfährt man dann erst kurz vor Antritt des Auslandsaufenthalts oder sogar erst währenddessen. Das ist eine zusätzliche Belastung für viele Erstakademiker:innen.
Dennoch: Auslands-BAföG und Erasmus+ sind sehr wichtige und gut aufgestellte Unterstützungsinstrumente, die in sehr vielen Fällen auch Erstakademiker:innen einen Auslandsaufenthalt ermöglichen können. Es gibt fast für jeden Mittel und Wege, sich diesen Bildungswunsch zu erfüllen und damit die eigenen Karriereoptionen zu pushen. Zentral ist daher die gezielte Unterstützung von Menschen aus sozial benachteiligten Milieus. Erasmus+ geht hier seit diesem Jahr einen großen Schritt voraus. Mit den Aufstockungsbeträgen von 250 Euro im Monat für Kinder aus nicht akademischen Elternhaus auf die ohnehin schon deutlich erhöhten Förderraten werden wichtige Anreize geschaffen und finanzielle Sorgen zumindest in Bezug auf der Höhe der Förderung vermindert.
Anmerkungen und Quellen
* Der Artikel gibt die persönliche Auffassung der Autorin wieder und stellt folglich keine Meinungsäußerung der Nationalen Agentur für Erasmus+ Hochschulzusammenarbeit dar.
Siehe auch Beitrag von Achim Meyer auf der Heyde