Transkript des O-Tons von Katja Urbatsch

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Auch Studierende der ersten Generation brauchen Auslandserfahrung. Ein Gastkommentar von Katja Urbatsch, Gründerin und Geschäftsführerin der gemeinnützigen Organisation Arbeiter kind.de. 

Der Zugang zu höherer Bildung ist in Deutschland immer noch sehr ungleich verteilt. Kinder aus Familien ohne akademische Traditionen haben eine weitaus geringere Chance auf einen hohen Bildungsgrad als Kinder aus Akademikerfamilien. Zahlreiche wissenschaftliche Studien belegen dies. Laut dem Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung beginnen von 100 Kindern ohne akademischen Hintergrund gerade einmal 27 ein Studium. Bei 100 Kindern aus Akademikerfamilien sind es hingegen 79. Auch in der weiteren akademischen Laufbahn setzt sich diese Ungleichheit fort. Weitaus mehr Kinder aus Akademikerfamilien machen den Bachelor, den Master und promovieren. Trotz der Einführung des Bafögs vor über 50 Jahren scheuen immer noch viele Kinder aus nicht akademischen Familien den Weg in das für sie und ihre Familien fremde System der Hochschulen. Auch ich kenne dieses Gefühl aus eigener Erfahrung. Als erste in unserer Familie haben mein Bruder und ich studiert und uns dabei oft mit Herausforderungen konfrontiert gesehen. Vieles, was für Kinder aus Akademikerfamilien selbstverständlich ist, war für uns neu und ungewohnt. Erst sehr spät habe ich erfahren, dass ich mich auch für ein Stipendium hätte bewerben können, doch damit sind wir nicht allein. Viele Menschen, die als erste in ihrer Familie studieren wollen, sehen sich ähnlichen Hürden gegenüber. Deshalb haben wir es uns bei arbeiterkind.de zur Aufgabe gemacht, diese Informationen zugänglicher zu machen. Unsere gemeinnützige Organisation wird von engagierten Ehrenamtlichen getragen, die selbst als Erstakademiker/innen ihre eigenen Erfahrungen und ihr Wissen teilen. Wir ermutigen alle, die den Schritt ins Studium wagen wollen und unterstützen bei Fragen zur Studienfinanzierung und Organisation. Wir vernetzen Ratsuchende mit Ratgebenden und sind auch beim Berufseinstieg ein Partner für Erstakademikerinnen. Auch beim Thema Studienbegleitende Auslandsaufenthalt zeigt sich, wie sehr die Möglichkeiten von Studierenden der ersten Generation von ihrer sozialen Herkunft geprägt sind. Im Jahr 2016 waren nur 13% der Studierenden aus nichtakademischen Elternhäusern im Ausland, während es bei Studierenden mit 2 akademischen Elternteilen 21% waren. Diese soziale Ungleichheit lässt sich auch bei den Förderprogrammen wie dem Erasmus Programm der Europäischen Union beobachten. Zwar stieg der Anteil der geförderten Studierenden zwischen 1994 und 2012 insgesamt von 29 auf 41%, doch insbesondere zwischen den Jahren 1997 und 2000 wuchs der Anteil hauptsächlich bei den Studierenden aus einem Akademikerhaushalt. Trotz der europäischen Studienreformen hat bisher also weder die räumliche Mobilität noch deren soziale Durchlässigkeit zugenommen. Die Ursachen dafür sind sicherlich vielfältig, liegen aber wohl nicht in den Noten oder den Ambitionen dieser Studierenden begründet. Oftmals haben sie keine Bildungsmutmacher/innen in ihrer Familie und sind auf sich allein gestellt, statt Ermutigung bekommen sie oft zu hören, mach lieber eine Ausbildung oder was willst du denn mit Amerikanistik. Ich kenne das aus eigener Erfahrung. Es fehlt vielen auch an Vorbildern in ihrer Familie, die ihnen erklären können, wie ein Studium insgesamt organisiert wird oder warum ein Auslandsaufenthalt sinnvoll sein kann. Es fehlt ihnen oft an der notwendigen Ermutigung und dem Signal, du kannst es schaffen. Darüber hinaus stellt die Finanzierung eines Studienbegleitenden Auslandsaufenthaltes trotz Auslandsbafög und einem breiten Angebot an Stipendien oft eine große Hürde dar. Viele Finanzierungsmöglichkeiten sind Studierenden aus nicht akademischen Familien gar nicht bekannt. Die Antragsverfahren für Förderprogramme sind zudem mitunter sehr komplex und binden zeitliche Kapazitäten, die oft aufgrund des Studiums und ausgeübter Nebenjobs nicht vorhanden sind. Und neben den finanziellen Herausforderungen, die ein studienbegleitender Auslandsaufenthalt mit sich bringt, können sich Studierende aus nicht akademischen Familien einen solchen auch erstmal gar nicht genau vorstellen. Denn zunächst einmal haben sie damit zu tun, in der ihnen fremden Hochschulwelt anzukommen, sich im Uni Dschungel grundsätzlich zu recht zu finden, sich mit dem akademischen Habitus vertraut zu machen und ein Zugehörigkeitsgefühl zur akademischen Welt entstehen zu lassen. Wir wissen, Auslandsaufenthalte haben eine positive Auswirkung auf die persönliche und berufliche Entwicklung und sind oft ausschlaggebend bei der Bewerbung auf die besten Positionen. Doch auch beim Thema Auslandsstudium hören Studierende der ersten Generation in ihren Herkunftsfamilien oft ähnliche Sätze wie generell beim Thema Hochschulbildung. Wozu soll das gut sein? “Schau lieber, dass du schnell fertig wirst”, oder “wir haben das alles auch nicht gehabt”. In diesem Milieu ist das Wissen um die Bedeutung von Auslandserfahrungen für Arbeitgeber innen bei der Auswahl von Bewerberinnen oft noch nicht verbreitet. Zudem wollen Kinder aus Familien mit bescheidenen Verhältnissen ihre Eltern nicht unnötig belasten, deshalb sollten Stipendiengeber innen, Hochschulen und andere Akteurinnen im Bildungswesen aktiv auf dieses Informationsdefizit eingehen und Studierende der ersten Generation sowie deren Eltern gezielt auf diese Thematik ansprechen. Sie sollten als Bildungspartner/innen Möglichkeiten aufzeigen, wie ein Auslandsaufenthalt erfolgreich durchgeführt werden kann. Hier könnten spezielle Werbebroschüren über die Vorteile von Auslandsaufenthalten hilfreich sein, die gezielt auch nicht akademische Elternhäuser ansprechen und ein partnerschaftliches Lösungsangebot bieten. Die Finanzierung eines Auslandsaufenthalts stellt für Studierende der ersten Generation die größte Hürde dar, daher ist es besonders wichtig, dass die zu erwartenden Kosten für einen Auslandsaufenthalt klar kommuniziert werden und keine Vorfinanzierung erwartet wird, da dies für ihre Familien oft nicht zu stemmen ist. Zudem ist es wichtig, Stipendienbewerbungen von Studierenden aus Familien ohne akademische Tradition ausdrücklich und proaktiv zu fördern. Dabei sollten die Stipendiengeber mehr Transparenz über Bewerbungs- und Auswahlverfahren herstellen. Wie bei arbeiterkind.de, können Hochschulen und Stipendiengebende auch mit positiven Vorbildern arbeiten, um Studierende zur Teilnahme an einem Auslandsstudium zu ermutigen. Wer den direkten Austausch mit positiven Vorbildern, zum Beispiel an Infoabenden ermöglicht beugt vielen Unsicherheiten bei möglichen Nachahmerinnen vor. Es ist wichtig, entschieden dem weit verbreiteten Vorurteil entgegenzutreten, dass Stipendien nur etwas für Hochbegabte sind. Denn unter dem Begriff begabt stellen sich viele Studierende viel höhere Anforderungen vor. Das Auslandsbafög muss in der Regel 6 Monate im Voraus beantragt werden. Zu diesem Zeitpunkt weiß man oft noch nicht, ob man einen Studienplatz an der Uni im Ausland erhalten wird. Wieviel Förderung man tatsächlich während des Auslandssemesters erhält, erfährt man dann erst kurz vor Antritt des Auslandsaufenthalts oder sogar erst währenddessen. Für viele Erstakademikerinnen ist es eine zusätzliche Belastung. Trotzdem sind Auslands, BAföG und Erasmus+ sehr wichtige und gut aufgestellte Unterstützungsinstrumente, die vielen Erstakademikerinnen einen Auslandsaufenthalt ermöglichen können. Es gibt fast für jeden Mittel und Wege, sich diesen Bildungswunsch zu erfüllen und damit die eigenen Karriereoptionen zu pushen. Besonders wichtig ist die gezielte Unterstützung von Menschen aus sozial benachteiligten Milieus. Erasmus+ geht seit diesem Jahr einen großen Schritt voraus und schafft wichtige Anreize, indem es die Förderraten für Kinder aus nichtakademischen Elternhäusern um 250€ im Monat aufstockt und finanzielle Sorgen zumindest in Bezug auf die Höhe der Förderung vermindert. Der DAAD hat mir damals mein Studienjahr an der Boston University ermöglicht, wofür ich bis heute sehr dankbar bin. Die Erfahrungen, die ich in dieser Zeit in den USA gemacht habe, prägen mich und meine berufliche Laufbahn bis heute. Der DAAD und andere Stipendiengeberinnen haben eine große Chance durch die Vergabe von Stipendien und die Bereitstellung von Informationen für unterrepräsentierte Gruppen zu mehr Diversität in akademischen Führungspositionen beizutragen. Vielen Dank.