Europäische Hochschulen als Vorbilder und Inspirationsquellen

Das Beispiel der ENLIGHT-Allianz
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Es handelt sich um eine der jüngsten Förderlinien, und doch kommt den Europäischen Hochschulen eine hervorgehobene Position in Erasmus+ zu. Sie sollen eine tragende Rolle im europäischen Bildungsraum einnehmen sowie als Modell und Ideengeberinnen für bewährte Praxis in der europäischen Hochschullandschaft fungieren. Ein zentraler Bereich ist Inklusion und Vielfalt. Gleiche Chancen für alle, Diversität und Gendergerechtigkeit sind Ziele, die sich die Initiative auf die Fahnen geschrieben hat.

«Inklusion und Vielfalt» sind multidimensional

Die von den Europäischen Hochschulallianzen zur Erreichung dieser Priorität angedachten, konzipierten und teils bereits umgesetzten Maßnahmen sind vielfältig, wie sich in einem Ende November 2021 veröffentlichten Beitrag in DAAD Aktuell beispielhaft zeigt: Sie reichen von Netzwerken mit Schulen, Vereinen und Unternehmen über den Einsatz von Microcredentials bis hin zu Onlineangeboten und projektbasierten Ausbildungsformaten. 

Diese Bandbreite reflektiert zum einen den Umstand, dass in Erasmus+ unter «Inklusion und Vielfalt» unterschiedliche Aspekte subsumiert werden, beispielsweise Behinderungen jeder Art und Gesundheitsprobleme, aber auch kulturelle Unterschiede und geografische Hürden. Zum anderen erklärt sie sich dadurch, dass die Europäischen Hochschulallianzen Zusammenschlüsse von Institutionen mit verschiedenen Traditionen, Sicht- und Herangehensweisen an ein Thema sowie diversen Erfahrungen und Einschätzungen sind.

Perspektivenvielfalt als Herausforderung und Chance

Dass dieser Umstand Einfluss auf die Arbeit der Allianzen hat, unterstreicht Prof. Dr. Andrea D. Bührmann, geschäftsführende Direktorin des Instituts für Diversitätsforschung an der Georg-August-Universität Göttingen und Mitglied im seit 2020 bestehenden ENLIGHT-Netzwerk, in dem 9 Hochschulen aus ebenso vielen Erasmus+ Programmländern – dazu zählen die 27 EU-Mitgliedstaaten und 6 mit dem Programm assoziierte Drittstaaten – zusammenarbeiten. «Die Herausforderungen, denen wir bei den Themen Diversität und Inklusion begegnen», erläutert die Diversitätsforscherin, «bestehen vor allem darin, die unterschiedlichen Perspektiven der Beteiligten von den verschiedenen Universitäten zu verstehen und eine gemeinsame Strategie zu finden.»

In dem zusammen mit Elena Futter-Buck verfassten Beitrag erläutert Andrea D. Bührmann, wie die ENLIGHT-Allianz sich dieser Aufgabe stellt, und das erfolgreich. Welche Hindernisse gibt es? Wie können sie überwunden werden? Welche Institutionen sind in die entsprechenden Prozesse involviert? Und welche Aufgaben übernehmen sie bei der Entwicklung von Maßnahmen? Das sind einige der zentralen Fragen, die sie beleuchten.

Kontakt:
Yvonne Schnocks
EU03 – Europäische Hochschulen

Weiterführende Informationen

Zurzeit (Januar 2023) gibt es 44 Allianzen mit rund 340 teilnehmenden Hochschuleinrichtungen in 31 Ländern (allen EU-Mitgliedern sowie Island, Norwegen, Serbien und der Türkei): 24 aus der 2. Pilotrunde und 20, die in der 1. regulären Auswahlrunde Ende Juli 2022 erfolgreich waren. Darunter sind 16 Projekte aus bestehenden Allianzen der 1. Pilotausschreibung sowie 4 aus neuen Hochschulallianzen, die eine tiefgreifende institutionelle Zusammenarbeit anstreben. Nähere Informationen finden sich unter https://t1p.de/cxems [06.09.2022].

Europäische Kommission
European Universities initiative

NA DAAD
Europäische Hochschulen

DAAD
Film: «Auf dem Weg zu Europäischen Hochschulen»
Europäische Hochschulnetzwerke [EUN] – nationale Initiative

Grenzüberschreitende Zusammenarbeit erfolgreich gestalten

Text: Andrea D. Bührmann, Elena Futter-Buck/Universität Göttingen

In der ENLIGHT-Allianz verstehen wir Chancengerechtigkeit (equity), Vielfalt (diversity) und Inklusion (inclusion) als wichtige Querschnittsmomente für eine nachhaltige Entwicklung von Hochschulen. Dabei vertreten wir einen weiten Begriff von Inklusion, der sich auf eine Hochschulcommunity bezieht, in der alle Mitglieder respektiert werden, sich zugehörig fühlen und Möglichkeiten für Teilhabe beziehungsweise Partizipation und zur Entfaltung ihres Potenzials haben.

Ein intensiver Austausch

In unterschiedlichen divers zusammengesetzten Arbeitsgruppen haben wir auf verschiedenen Ebenen mit Repräsentant*innen von allen Mitgliedern der Allianz Konzepte diskutiert, die in den jeweiligen Universitäten, aber ebenso in deren organisationalem Umfeld wirken sollen. Förderlich war es an dieser Stelle, dass einige Mitglieder der ENLIGHT-Allianz – wie etwa die Universitäten Gent oder Göttingen – schon inklusive und transformative Diversitätsstrategien entwickelt hatten. Diese Strategien zielen darauf, nicht nur in der Hochschule selbst inklusive Strukturen und Prozesse zu befördern, sondern vielmehr auch darauf, ihr Umfeld zu diversifizieren. So stärken sie die Teilhabe an relevanten Entscheidungen, treiben die Entwicklung von nachhaltigen Konzepten zur Chancengleichheit in den jeweiligen Hochschulen voran und reduzieren gleichzeitig Marginalisierungsprozesse in ihrem lokalen und regionalen Umfeld. 

In diesem Kontext haben wir in der Allianz gemeinsam unterschiedliche Maßnahmenpakete zur Umsetzung der Ziele entwickelt. Dazu gehören beispielswiese allianzweite Workshops und Vorträge, in denen das Thema «Equity, Diversity, Inclusion» adressiert wird. Dadurch werden Kompetenzen und Wissen innerhalb der Allianzen geteilt (skill sharing) und Unterstützungsmöglichkeiten für Chancengleichheit und Inklusion in der internationalen Mobilität gesammelt. 

Schritte und ergriffene Maßnahmen

Wir wollen die konkrete Operationalisierung dieser Maßnahmen an einem Beispiel illustrieren. Dabei beschreiben wir die Aktivitäten aus einer doppelten Perspektive: zum einen als Akteurinnen, die im «Community Based Research[MK1] »-Projekt «Diversity vor Ort» involviert sind, das seit mehreren Jahren in enger Zusammenarbeit mit der Stadt Göttingen im Masterstudiengang sozialwissenschaftliche Diversitätsforschung an der Universität Göttingen durchgeführt wird; und zum anderen von Mitorganisatorinnen der ENLIGHT-Teaching- & Learning-Konferenz, die im November 2022 in Göttingen stattgefunden hat.

Community Based Research (CBR) bezeichnet gemeinwohlorientierte Forschung, an der Gemeinwesen (Communitys), Wissenschaftler*innen sowie Studierende gleichberechtigt an aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen arbeiten. Die Forschungsfragen gehen dabei aus dem regionalen Umfeld der Universität hervor. Im Rahmen der ENLIGHT-Allianz wird challenge-based learning and teaching ebenso großgeschrieben wie die Zusammenarbeit mit lokalen Akteur*innen im Umfeld der Universität.

In der Retrospektive greifen wir 3 Umsetzungsschritte heraus:

  • Herstellen eines gemeinsamen Verständnisses in der ENLIGHT-Allianz: Im Rahmen verschiedener Arbeitsgruppen auf der Ebene der ENLIGHT-Allianz, aber gleichfalls in Göttingen haben wir zunächst ein gemeinsames Zielverständnis erarbeitet. Daran waren Expert*innen aus dem Feld und ebenso strategische Entscheider*innen beteiligt. Dabei wurden auch CBR-Projekte als transdisziplinäre Transfermaßnahmen aufgefasst. Erste Diskussionen fanden hierzu schon im Vorfeld der Antragstellung auf einem internationalen Workshop an der Universität Bordeaux statt.
  • Identifikation bereits erprobter Best-/Good-Practice-Beispiele: Ausgehend von diesen Diskussionen wurden schon erprobte und implementierte Maßnahmen beziehungsweise Projekte an den jeweiligen Hochschulen identifiziert und für die Mitglieder der Allianz in einer Übersicht zusammengestellt.
  • Allianzweiter Austausch über die Aktivitäten und Maßnahmen: Hier sind an der Universität Göttingen 2 Aktivitäten gestartet worden – und in der Allianz noch viele weitere. Erstens wurden in einem virtual workspace Chancengerechtigkeit, Vielfalt und Inklusion auf alle ENLIGHT-Arbeitspakete angewandt und diskutiert. Die Ergebnisse dieses Austausches wurden zusammen mit den Ergebnissen der Zusammenstellung der Best-Practice-Beispiele in das «Teaching and Learning Lab» eingespeist und auf der Teaching and Learning Conference diskutiert. Und zweitens fanden entsprechende Workshops auf dieser internationalen Konferenz statt. Im Workshop «Diversity on-site: negotiating co-creation and experiences of differences in community-based learning» griffen wir unsere CBR-Erfahrungen auf. Ziel war es zum einen, bewährte Projekte vorzustellen. Zum anderen wollten wir voneinander lernen und gemeinsam mit Akteur*innen aus der Forschung, aus der Hochschuldidaktik, aber vor allem mit Studierenden, Lehrenden und handelnden Personen aus der Region Erfolgsfaktoren und Hindernisse für CBR-Projekte diskutieren und diese entsprechend der Zielstellung von ENLIGHT weiterentwickeln. Davon ausgehend sollen weitere Disseminationsaktivitäten erfolgen, die dann im Weiteren in die geplanten Evaluationsprozesse der ENLIGHT-Allianz eingehen sollen. Als eine Zwischenevaluation betrachten wir dabei die Workshops auf der Konferenz.
Menschen unterschiedlichen Geschlechts, verschiedener Haut- und Haarfarben, Nationalitäten und Religionen wenden sich in einer Menschenmenge einander zu

Was haben wir in diesem Prozess (bisher) gelernt?

Aus unserer Perspektive erweisen sich 3 Aspekte als besonders erfolgskritisch: 

  • Erstens ist es überaus wichtig, über das vermeintlich Selbstverständliche zu sprechen und – so weit wie möglich – ein gemeinsames Verständnis von Inhalten und Prozessen zu entwickeln – und immer wieder nachzujustieren. Viele «eigentlich» eindeutige Begrifflichkeiten, wie etwa Gerechtigkeit, Vielfalt und vor allem Inklusion, erweisen sich nämlich in der konkreten Zusammenarbeit keineswegs als eindeutig. Deshalb ist es sinnvoll, andere nicht vom eigenen Verständnis überzeugen zu wollen, sondern im Sinne des Konzepts der boundary objects Gemeinsamkeiten im Verständnis zu stärken und unterschiedliche Einschätzungen als solche zu akzeptieren.
  • Zweitens scheint es uns deshalb wichtig, die Diversität in divers zusammengesetzten Teams und die so bestehende Perspektivenvielfalt aktiv zu adressieren. Es geht darum, die Unterschiede und Gemeinsamkeiten als solche wertzuschätzen beziehungsweise anzuerkennen und voneinander zu lernen. Diese Haltung befördert eine kreative und innovative Atmosphäre und bietet gute Ausgangspunkte zur Bewältigung der anstehenden Herausforderungen, insbesondere Gesundheit, Digitalisierung, Klimawandel, Energieverbrauch und Kreislaufwirtschaft und Chancengerechtigkeit.
  • Drittens ist es wichtig, die Kommunen beziehungsweise Regionen aktiv in die Diskussions- und Forschungsprozesse auf Augenhöhe mit einzubeziehen. Hier geht es dann nicht mehr nur um «Übersetzungsarbeiten» zwischen unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen. Es geht darum, zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Subsystemen mit ihren entsprechenden Eigenlogiken, Eigensinnigkeiten, aber eben auch je eigenen Expertisen zu vermitteln. Auf diese Weise kann es gelingen, disziplin-, methoden-, status-, kultur- und systemüberschreitendes, kurz: grenzüberschreitendes Zusammenarbeiten erfolgreich zu gestalten! 
Kontakt:
Prof. Andrea D. Bührmann
Universität Göttingen

ENLIGHT – European university Network to promote equitable quality of LIfe, sustainability & Global engagement through Higher education Transformation