Hochschulallianzen für Europa

Text: Elisabeth Tauch

2017 wurde die Idee der Europäischen Hochschulen ins Leben gerufen. An dem daraufhin geschaffenen europäischen Förderprogramm «European Universities Initiative» (EUI) beteiligen sich deutsche Hochschulen besonders rege. Wie ist der Stand der Europäischen Hochschulallianzen? Welche Ergebnisse haben sie erzielt? Und inwiefern können sie eine Vorreiterrolle im Europäischen Hochschulraum einnehmen? Ein Überblick.

Die Entwicklung von 2017 bis heute

Vor 7 Jahren schlug der französische Staatspräsident Macron in einer Rede an der Pariser Sorbonne Université die Schaffung von Europäischen Hochschulen als Orte vor, an denen die europäischen Werte in gemeinsamer Forschung, Lehre und Austausch gelebt werden sollten. Die Idee wurde von der EU-Kommission und vom Europäischen Rat aufgegriffen und konkretisiert. Es bestand Konsens darüber, dass es sich dabei nicht um Neugründungen handeln sollte, sondern um Allianzen aus etablierten Hochschulen, die auf ganz neue und intensive Art kooperieren sollten. 

Mittlerweile wird die Vision Realität: Seit 2019 fördert die EU-Kommission Allianzen von Hochschulen quer durch Europa. Im laufenden Erasmus+ Programm (2021–2027) werden insgesamt circa 1,1 Mrd. Euro für die Initiative bereitgestellt. Das Ziel der EU von 60 Hochschulallianzen mit 500 beteiligten Hochschulen (etwa 10 Prozent der Hochschulen in Europa) wurde bereits übertroffen. Zurzeit arbeiten 64 Allianzen und über 560 Hochschulen konzentriert daran, ihre strategische Zusammenarbeit mit Leben zu füllen. 

Die deutsche Beteiligung

In Deutschland hat die Initiative der Europäischen Hochschulen einen Nerv getroffen. Die EU-Ausschreibungen fanden große Resonanz. 66 Hochschulen aus Deutschland sind in 58 der 64 bestehenden Allianzen vertreten, darunter auch 17 Hochschulen für angewandte Wissenschaften (HAWs).

Die Verbünde bestehen im Schnitt aus rund 9 Partnerhochschulen und erhalten jeweils zunächst für 4 Jahre bis zu 14,5 Mio. Euro. In 23 Ländern kommen nationale Mittel hinzu. In Deutschland unterstützt der DAAD die deutschen Hochschulen im Rahmen des vom Bundesbildungsministerium finanzierten Begleitprogramms «Europäische Hochschulnetzwerke (EUN) – nationale Initiative». 

Die aktuelle Umsetzung

Der Aufruf 2024 war voraussichtlich der letzte im laufenden Erasmus+ Programm, perspektivisch arbeitet die Europäische Kommission gemeinsam mit den Mitgliedstaaten aber bereits an einem Investitionsplan für die Zeit ab 2028. Gegenwärtig liegt der Fokus auf der Umsetzung der geplanten Aktivitäten und dem Transfer der Ergebnisse an interessierte Hochschulen, die nicht an der Initiative beteiligt sind. 

Die Allianzhochschulen bringen Ressourcen und eigene Stärken zusammen, um gemeinsame europäische Campus zu entwickeln. Sie etablieren gemeinschaftliche Governance-Strukturen, entwickeln integrierte Studienangebote, Microcredentials, kreative Projekte mit der Gesellschaft und schaffen insbesondere neue Mobilitätsformate und -strukturen, um mindestens 50 Prozent ihrer Studierenden eine Mobilitätserfahrung (sei es physisch, virtuell oder kombiniert) zu ermöglichen. Ziel ist es, dass Studierende, Forschende und Verwaltungspersonal nahtlos zwischen den Partnereinrichtungen wechseln können. Die Allianzen sind intensive grenzüberschreitende Kooperationen, die ein Zeichen für den Zusammenhalt Europas, seine gemeinsamen Werte und Stärken setzen. 

Allerdings finden sich auf dem Weg zu genuin Europäischen Hochschulen auch zahlreiche Herausforderungen. Dazu zählen die reibungslose Anerkennung von Studienleistungen, unterschiedliche Einschreibemodalitäten oder voneinander abweichende nationale Regelungen, die die Vergabe von gemeinsamen Abschlüssen (Joint Degrees) erschweren. Zur Überwindung dieser Hindernisse erproben die Allianzen Lösungen, die wiederum dem gesamten Hochschulsektor zugutekommen werden. Auf diese Weise wirken die Hochschulallianzen als Motor für das Zusammenwachsen von Hochschulen in Europa, damit neue Generationen von Studierenden und Forschenden ihre europäische Identität erfahren können und so das Zusammengehörigkeitsgefühl in Europa gestärkt wird.

Die Vorreiterrolle

Damit die Allianzen diese Vorbildwirkung im Europäischen Hochschulraum übernehmen können, fördert die EU-Kommission im Rahmen der Ausschreibung 2024 die Schaffung einer Praxisgemeinschaft von Europäischen Hochschulallianzen, die den Nutzen für den gesamten Hochschulsektor verstärken soll: Mit dem Projekt «FOR-EU4ALL – FORum of European Universities for All» wird nicht nur das Peer-Learning zwischen den Allianzen gestärkt, sondern auch die Verbreitung von Ergebnissen im gesamten Hochschulsektor gefördert. Alle nunmehr 64 bestehenden Allianzen sind daran beteiligt.

Auch das neue von der NA DAAD koordinierte Projekt «Spreading innovative results from European University Alliances (EUI) to other Higher Education Institutions» zielt darauf, den Erfahrungstransfer aus den Europäischen Hochschulallianzen zu unterstützen. Die zusammen mit den Nationalen Agenturen aus Norwegen, Österreich und Ungarn betriebene 3-jährige Long-Term Activity berücksichtigt insbesondere die 90 Prozent der Hochschulen in Europa, die nicht an einer Hochschulallianz beteiligt sind. 

Elisabeth Tauch

Kontakt:
Elisabeth Tauch
EU03 – Partnerschaften und Kooperationsprojekte

Beispiele aus der Praxis

Circle U.: interdisziplinäre «Knowledge Hubs» und Sommerschulen

Eines der zentralen Ziele von Circle U. ist es, Forschung und Lehre zu den großen Herausforderungen und Chancen unserer Zeit zu fördern: Klima, Demokratie, globale Gesundheit und in Zukunft auch künstliche Intelligenz. Zu diesen Themen hat die Allianz sogenannte Knowledge Hubs eingerichtet: universitätsübergreifende, interdisziplinäre Zentren des Austauschs, die von akademischen Direktor:innen geleitet und deren Aktivitäten von Academic Chairs gestaltet werden. Hier wird etwa an gemeinsamen Studiengängen, Sommerschulen und multilateralen Forschungsprojekten gearbeitet.

Ein erfolgreiches Beispiel aus dem Bereich der Lehre sind die Circle U. Sommerschulen, von denen bislang 15 stattgefunden haben. Sie ermöglichten bereits Hunderten von Studierenden aus 9 Ländern neuartige gemeinsame Lernerfahrungen. Die interdisziplinären Kurzzeitprogramme werden von den Academic Chairs entwickelt und durchgeführt und widmen sich überwiegend den Kernthemen der Knowledge Hubs. Adrijana Prodanić, Bachelorstudentin der Universität Belgrad, unterstreicht, was sie aus der Teilnahme an der Klima-Sommerschule 2023 in Berlin mitgenommen hat: «Das interdisziplinäre Wissen, das man an der Uni so kaum findet, war eine Bereicherung. Außerdem habe ich unschätzbare, hoffentlich lebenslange Verbindungen zu Gleichgesinnten aus ganz Europa geknüpft.»

© Ole Bader

Circle U. Welcome Event vor dem Hauptgebäude der HU am 22. August 2022

«Das interdisziplinäre Wissen, das man an der Uni so kaum findet, war eine Bereicherung. Außerdem habe ich unschätzbare, hoffentlich lebenslange Verbindungen zu Gleichgesinnten aus ganz Europa geknüpft.»
Adrijana Prodanić, Bachelorstudentin der Universität Belgrad

Kurzzeitprogramme werden von den Academic Chairs entwickelt und durchgeführt und widmen sich überwiegend den Kernthemen der Knowledge Hubs. Adrijana Prodanić, Bachelorstudentin der Universität Belgrad, unterstreicht, was sie aus der Teilnahme an der Klima-Sommerschule 2023 in Berlin mitgenommen hat: «Das interdisziplinäre Wissen, das man an der Uni so kaum findet, war eine Bereicherung. Außerdem habe ich unschätzbare, hoffentlich lebenslange Verbindungen zu Gleichgesinnten aus ganz Europa geknüpft.»

Kontakt:
Dr. Fritzi-Marie Titzmann
Abteilung Internationales, Humboldt-Universität zu Berlin

NeurotechEU Praktikumsprogramm: In Bonner Laboren forschen

Seit 2024 können BA- und MA-Studierende der NeurotechEU Allianz 8- bis 10-wöchige Praktika in Bonner Laboren absolvieren. Unter der Anleitung von erfahrenen Wissenschaftler*innen wirken Studierende an laufenden Forschungsprojekten mit, um Praxiserfahrungen zu sammeln und berufliche Netzwerke aufzubauen. 

Neben der Universität Bonn beziehungsweise dem Universitätsklinikum Bonn beteiligen sich auch assoziierte Partner – wie das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen oder das Max-Planck-Institut –, wodurch die institutionelle Zusammenarbeit am Standort Bonn intensiviert wird. Das von der Projektstelle NTEU koordinierte Programm arbeitet ferner eng mit weiteren Projekten zusammen, wie etwa mit dem TRA Life and Health sowie dem Exzellenzcluster ImmunoSensation², was zu einer nachhaltigen und transdisziplinären Verankerung von NeurotechEU beiträgt. 

Kontakt:
Sina Loos, NeurotechEU
Dezernat Internationales, Universität Bonn

ECIU: Gemeinsame Vergabe von Microcredentials 

Als erste europäische Hochschulallianz vergibt die ECIU seit Ende 2023 für ihre Challenges und Micromodule digitale Microcredentials als Leistungsnachweis an Studierende über Europass. Die ECIU erfüllt diese Aufgabe für alle 13 Partner. Die Ausgabe über einen zentralen Prozess reduziert den technischen und organisatorischen Aufwand erheblich. 

Die fachlich-inhaltliche Verantwortung der Angebote liegt bei der anbietenden Hochschule, die Qualitätssicherung findet in der Allianz statt. Studierende der Technischen Universität Hamburg können die ECIU-Angebote im Rahmen des Wahlbereichs belegen, während ihnen alle Vorteile des digitalen Credentials offenstehen.

Kontakt:
Randi Barth, Dr. Dorothea Ellinger
Zentrum für Lehren und Lernen, Technische Universität Hamburg, ECIU

EURECA-PRO-Science Slam: Brücke zwischen Wissenschaft und Gesellschaft

Die Hochschule Mittweida ist Teil der Europäischen Hochschulallianz für nachhaltigen Konsum und verantwortungsvolle Produktion EURECA-PRO. Forschung und Lehre an HAWs sind von einem starken Anwendungsbezug geprägt, weshalb ihnen bei der Ausbildung von Kompetenzen, die die digitale und grüne Transformation Europas unterstützen und die Beschäftigungsfähigkeit Studierender erhöhen, eine besondere Bedeutung zukommt.

EURECA-PRO bietet der Hochschule Mittweida Spielräume zum Experimentieren mit neuen und kreativen Formaten, die auf die Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements und die Förderung des Wissenstransfers in die Gesellschaft zielen, etwa durch Science Slams oder Projektwochen. So wurde zum Beispiel der Science Slam «Kurze Rede, Nachhaltiger Sinn» in einer umgestalteten Immobilie mit neuem Nutzungskonzept durchgeführt. Damit gelang es, die Stadtbevölkerung zu interessieren und das Angebot stärker an dieser Zielgruppe zu orientieren

Kontakt:
Synnöve Hochstein
Rektorat – Hochschulentwicklung, Hochschule Mittweida, EURECA-PRO