«Es hat mich alles noch mal weitergebracht»
Was war Ihre Motivation, einen Auslandsaufenthalt in Bilbao mit Erasmus+ durchzuführen?
Ich habe mein Studium 2019 gestartet, das heißt, ich hatte ein normales und danach nur Corona-Semester. Alles war online. Ich habe dann im fünften Semester über Instagram-Storys festgestellt, dass viele meiner Kommilitonen ein Auslandssemester machen und gedacht – ja, irgendwie habe ich das jetzt durch Covid ein bisschen verpasst. Da habe ich mir vorgenommen, den Schritt im siebten Semester zu machen. Das war der Auslöser: dass ich mal geschaut habe, was kann ich machen, wohin kann es gehen.
Da ich parallel mittlerweile auf einem hohen Level Rollstuhlbasketball spiele, wollte ich sicherstellen, dass meine Trainingsmöglichkeiten weiterhin gegeben sind. Das heißt, ich habe geschaut, welche Länder machen Sinn und wo gibt es eine gute Liga, wo gibt es gute Teams, bei denen ich vielleicht auch Perspektiven hätte.
Ich habe eine Liste geschrieben und mich weiter informiert. Und tatsächlich habe ich Bilbao aus dem Erasmus+ Kontext an erste Stelle gesetzt, weil ich mit der Schule schon mal eine Busfahrt dorthin gemacht hatte und das Team relativ hoch in der Liga spielt, sogar in der Champions League vertreten ist. Das heißt, es waren perfekte Bedingungen für mich aus Trainings- und Spielsicht gegeben.
Die umfassende Hilfe der Hochschule
Wie verliefen die Vorbereitungen, wie zum Beispiel die Beantragung der finanziellen Zusatzförderung?
Es war sehr hilfreich, dass im International Office meiner Hochschule in Ingolstadt sehr motivierte Leute arbeiten oder gearbeitet haben. Einer war aber die treibende Kraft, irgendwie, irgendwann einen Auslandsaufenthalt zu machen. Er hat mich tatsächlich schon im ersten Semester gefragt, ob ich trotz Rollstuhl das Ganze angreifen möchte, weil ihn das auch faszinieren würde, diesen Schritt mal zu machen und mich dabei zu unterstützen.
Mit dieser Person habe ich mich viel ausgetauscht und über sie mitbekommen, dass es die Möglichkeit für den Zusatzkostenantrag gibt. Seine Nachfolgerin hat mich die ganze Zeit über begleitet und ist jetzt noch für meinen Antrag zuständig. Die Unterstützung war sehr hilfreich.
Ich bin in den Austausch mit meiner Uni und die Uni wiederum mit dem DAAD gegangen, um die ganzen Punkte abzuklären, kleine Sachen zu korrigieren und zu erklären. Das lief alles reibungslos. Ich konnte all meine Themen, die relevant waren für mich, damit einbringen. Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich die Unterstützung bekommen habe.
Das überraschend einfache Leben in Bilbao
Wie einfach oder schwer fiel es Ihnen, sich vor Ort mit dem Rollstuhl zu bewegen? Gab es ein spezielles Unterstützungsangebote der Universität in Bilbao?
Ich würde insgesamt sagen, dass es hier ziemlich gut geeignet ist für Rollstuhlfahrer. Flughäfen in Spanien sind deutlich besser vorbereitet auf Hilfestellungen als in Deutschland. In Bilbao selbst gibt es ein top ausgebautes öffentliches Verkehrsmittelnetz. Das heißt, ich konnte mit der Metro überall hinfahren, ich konnte mit der Tram überall hinfahren, für echt wenig Geld, und alles ist barrierefrei. Jede Station hat einen Aufzug. Ich hatte da nie Probleme, wo ich gesagt habe, ich stecke jetzt fest. Auch mit Bussen hat es immer hervorragend geklappt. Die Leute sind sehr hilfsbereit. Insgesamt war ich positiv überrascht. Das Einzige, was man bei Bilbao vielleicht nicht weiß, bevor man wirklich in der Stadt wohnt: Es ist teilweise sehr hügelig. Insgesamt bin ich aber überall eigentlich gut zurechtgekommen.
Zur Universität habe ich keine besondere Hilfestellung oder Hilfeleistung in Anspruch genommen. Ich glaube nicht, dass es eine Besonderheit gab; oder ich habe es nicht mitbekommen und alles so lösen können.
Was war für Sie die größte Herausforderung während des Aufenthalts? Wie sind Sie damit umgegangen?
Ich hatte keine unlösbare Herausforderung. Für mich persönlich waren solche Themen wie das Spielen auf allerhöchstem Niveau natürlich eine große Erfahrung, aber auch ein großer Druck, der auf einem liegt, wenn man im Training jedes Mal die Leistung abrufen und performen muss, um erfolgreich zu sein.
Auf Erasmus+ bezogen war es für mich das Gefühl, dass man immer noch eine Attraktion ist, wenn man auf ein Erasmus+ Event geht, weil es nicht viele Leute gibt, die im Rollstuhl ein Auslandssemester machen. Da wird man doch ein bisschen mehr angeschaut als jeder normale Fußgänger, würde ich behaupten. Wenn man sich aber überwindet und hingeht, findet man Leute, die einen genauso offen in Empfang nehmen wie Leute ohne Rollstuhl oder ohne Behinderung. Man muss halt seinen inneren Schweinehund manchmal ein bisschen bekämpfen.
Ich habe recht schnell hier Anschluss gefunden. Ich habe einige Leute kennengelernt, auch aus Deutschland, die tatsächlich in der Nähe von mir zu Hause wohnen. Und ich hoffe, die werde ich nach dem Aufenthalt noch ein bis zwei Mal wiedersehen.
Was würden Sie Studierenden raten, die noch unentschlossen sind, ob sie einen Erasmus+ Auslandsaufenthalt antreten sollen?
Ich würde es jedem empfehlen. Also, ich bin 100 Prozent überzeugt, dass es sinnvoll ist. Es hat alles hervorragend geklappt. Es ist eine andere Erfahrung. Man lernt ein anderes Land kennen, eine andere Kultur, man schreibt ein Auslandssemester in seinen Lebenslauf. Ich habe jetzt Grundkenntnisse in Spanisch. Das hätte ich alles sonst nicht erleben können.
Und auch diese komplette Selbstständigkeit, weg von zu Hause zu sein, ein bisschen ins kalte Wasser geworfen zu sein, weil man doch nicht heimfahren kann, wenn mal was ist, bringt einen noch mal ein gutes Stück weiter. Es ist einfach eine coole Erfahrung. Und falls es so sein sollte – was in meinen Fall nicht so war –, dass man vielleicht ein Fach noch mal in einem späteren Semester machen muss, weil man es hier nicht schafft oder es kein passendes Angebot gab, ist es trotzdem eine große Erfahrung. Ich meine, wir können den Rest unseres Lebens arbeiten.
Die Zeit hier zu genießen, in den Jahren, wo man immer noch jünger ist, wo der Körper noch fit ist, ist eine große Gelegenheit. Und es ist natürlich ein Privileg, wenn man das so machen kann und nicht auf eine Arbeit angewiesen ist. Aber jeder, der die Chance hat, sollte sie nutzen.
«Nutzt die Chance! Es lohnt sich.»
Gibt es ein besonders schönes Erlebnis, wofür sich Ihr Auslandsaufenthalt trotz organisatorischer Herausforderungen gelohnt hat?
Der ganze Erasmus+ Aufenthalt hat sich trotz der organisatorischen Herausforderungen gelohnt, eben aus den Punkten, die ich angesprochen habe. Es hat mich alles noch mal so einen großen Schritt weitergebracht, aus menschlicher Sicht und wahrscheinlich irgendwann auch mit Blick auf die Karriere.
Bei mir kommt noch das sportliche Thema dazu. Ich habe hier einen großen Karriereschritt machen können. Ich spiele wahrscheinlich beim fünftbesten Team in Europa und bin jetzt auf dem Radar von anderen Teams. Das ist hilfreich für meine sportliche Karriere. Ein wirklich cooles Erlebnis war, dass wir die Champions-League-Vorrunde in Bilbao ausrichten durften, Teams aus Italien, aus der Türkei, aus Frankreich zu uns gekommen sind. Wir spielten vor heimischer Kulisse, vor unseren Fans – das war eine große Erfahrung für mich.
Lukas Gloßner wurde nach dem Interview nominiert, Deutschland bei der Rollstuhlbasketball-WM in Dubai (09.-20.06.2023) zu vertreten.